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Die Christenpflicht im Klimawandel - Ein Pneumatiker und ein Hyliker im Sturm einer neuen Ära

Anna Lippmann

Anlässlich ,,steigende(r) Minimaltemperaturen in Agape und Humanität" - Über die Anthropologeme des Menschen der westlichen Welt - Eine Satire mit der Idee einer Bühnendichtung von Anna Lippmann


Die Winterzeit ist jene Zeit, die ich in meinen Kindheitstagen durch die Augen jenes Betrachters erlebt und wahrgenommen habe, der sich mit seiner gänzlichen Aufmerksamkeit in das weiße Gestöber der Schneekugel versenkt, nachdem er diese zuvor epileptisch in alle Richtungen durchschüttelt hat. Zu den saisonalen Attraktionen gehörte die schneebedeckte Provinzstadt, umgeben von einer kahlen jedoch kristallklaren Tundra, Bäume, die unter ihrem Puderzucker-Gewand ihren Streich der Schneemonster spielten und all die unzähligen Flocken, die sich am Ende ihrer Reise zur ewigen Ruhe legten, nachdem Frau Holle wieder einmal ihr Kissen zu herzhaft schüttelte.

Der Schnee in seiner Dimension ist aber nicht geblieben. Die unselige Invasion einer grauen Matsche-Pampe hat ihn in die Flucht geschlagen. Was soll´s, so spart man sich schon das leidige Schnee-Schieben sowie den daran anschließenden Bummel zum Arthrosen-Medicus. Doch die Fanatiker der weißen Masse bleiben untröstlich und skandieren ihren Kummer nach Glasgow. Dort empfängt sehnlichst die Gebieterin, eine tollkühne und adoleszente Schwedin, die treuen Dienste ihres Schlägertrupps in phallischer Phase.


Ihrer Klima-Weissagung zufolge feiern wir bald keine weiße Weihnachten mehr, sondern liegen wie die Australier nassgeschwitzt am Sandstrand, schlabbern den eisgekühlten Punsch und schmücken den pflegeleichten und hitzebeständigen Synthetik-Christbaum. Letzteres Szenario dürfte in Anbetracht der dekadenzbedingten Mutation des Tannenbaum-Aufputzes, von der erhabenen Staffage zur strangulierenden Christbaumkugel-Corsage, jeden Nadelbaum erleichtert aufatmen lassen. Der Siegeszug der Westernisierung wäre vollends vollbracht und Aljonuschka und Iwanuschka fallen sich greinend in die Arme.

 

Doch Anlass zur Besorgnis gibt nicht die Wetterlage, ein anderes Klima ist bedroht und unübersehbar menschengemacht. Steigende Maximaltemperaturen in Familien- und Freundespolemik, zunehmende Starkniederschläge an Fäkaliensprache in Kolumnen und Talk-Shows, steigende Minimaltemperaturen in Agape und Humanität. Die Christenpflicht befindet sich im Klimawandel und schuld daran hat nicht nur der Atheismus.


Eine Ära der pandemischen Auflagen nach altbewährter chinesischer Obhut-Kreation hat begonnen. Hier unterscheidet sich der Pneumatiker (griech. ,,Hauch, Wind, Atem“: ,,der Atmende“) vom Hyliker (griech. ,,stofflich, körperlich“: ,,der Stoffmensch“) jetzt am Deutlichsten. Doch Vorsicht, es gilt den Blick zu schärfen, denn es besteht angesichts einer verkehrten Welt Verwechslungsgefahr zwischen den Akteuren.


Neben dem unbekümmerten Hyliker nach kyrenaischen Vorbild, der sich beispielhaft zu seinen Unmäßigkeiten hedonistischer Natur bekennt und keinerlei Interesse daran hegt, seine matschigen Erkenntnisfrüchte zum Bewertungsmaßstab zu erheben, wütet noch ein bekümmerter Hyliker der Post-modern-e, der nicht nur an einer abendländischen Öffentlichkeit modert, sondern ebenfalls an einer aberwitzigen Definition fault, die man ihm vor lauter grüner Gesinnungsethik aufoktroyiert hat.


Der bekümmerte Vorzeige-Hyliker des vorgeblichen ,,Common Sense“ ist in der Sublimierung jener hedonistischen Natur, welche man ihm als tölpelhaft und plebejisch unterrichtet hat, deprimierend gescheitert. Das Einzige, was er konkurrenzlos in das Erhabene gesteigert bekommen hat und als epochalen Siegeszug feiert, ist die bejammernswerte Qualität seines korrumpierten Geistes und die Sehnsucht nach einem Konsens-Heroismus, für welchen die Rundfunkanstalt die Betreuung übernimmt.


In deren pädagogisch-schmieriger Patsche wird eine Art Pseudo-Bruderschaft herangezüchtet, die sich in ihrer Selbstbeweihräucherung zum kopflosen Tugend-Superman aufschwingt, dem jede faktische Flugbahn fehlt. Doch um die Richtungslosigkeit seiner Großtaten schert er sich nicht groß. Die obligaten und unsinnigen Rotationen in schwindelerregenden Höhen müssen passen. Das ist im Übrigen die einzige Kausalität die er versteht, mit verheerenden Folgen.



 

Der bekümmerte Hyliker verkennt die reine Ekstase der Meditation sowie jede Gestalt der Autarkie, schreibt sich deren Namen zur gesonderten Kennzeichnung seines biodynamischen Charakters auf die Stirn und läutet damit seine Ordination zum geistlosen Symbolträger grüner Trend-Somnolenz ein. Das er nun einem Demiurgen-Dienst beiwohnt, welcher die Öffnung der Pforten zu einer nie dagewesenen, begrünten, geschlechtergerechten, rassismus- und keimfreien Erde 2.0, gegen eine CO2-Abgabe, eine Genus-Massakrierung, eine Phänotyp-Leugnung, ein Impf-Abo, ja letzten Endes einer Aufkündigung all seiner kantischen Erkenntnis, verspricht, lässt ihn tollkühn die Falten seines Umhangs glätten, während er inkorporiert: ,,Sakrosankt ist dem leer gezüchteten Neophyt sein schizoides Glück, lebensentfremdete Devotionalie rührt seine traurige Gestalt kaum mehr zu süßlicher Nostalgie.“


Beim Familientreffen hockt er im Fair-Trade-Schal frisch geboostert und masken-mumifiziert, Atemluft multipliziert schließlich den CO2-Gehalt, im Gemenge, trinkt kultürlich Paracetamol ratiopharm, aufgeschäumt in laktosefreier Milch und schimpft auf den einstigen Abkömmling, den sonderbaren Pneumatiker, welchen er schweren Herzens auszuladen und vom Testament zu streichen hatte.


Denn ,,der Atmende“ zeigt sich weder von einer durch Establishment veranlassten Trendsetter-Vakzination, steriler Gesundheitsmaskerade, noch von aller Art Phantom-Wehwehchen beeindruckt, weiß er doch, dass es der Dilettantenmedizin entspricht, versucht man das Leben in die Schnürmieder der Gesundheits-Verwaltung zu zwängen. Mit inquisitorischer Fulminanz dichtet ,,der Atmende“ angesichts dieser Tragödie: ,,Wie bekannt beraubt die Lakonik der Agonie dem Menschen seiner Eukolie, stellt sich da doch die unerlässliche Frage nach dem fehlerhaften Wesen der Ätiologie, Antagonie gegenüber Präskription wird zur notwendigen Häresie.“


Die Teilnahme an solch einer sympathikotonen Risikogesellschaft würde ihm den Odem abdrosseln, in dessen Versagen ein Zipperlein beschwören, ja letzten Endes würde er sich nicht im Geringsten vom bekümmerten Hyliker unterscheiden. Eine desaströse Abberufung für einen Träger des Lebens und einen Freund der Christenpflicht, der Nächstenliebe.


Sein Begriff des Heroismus bindet sich nicht an die Akklamation aus affektierten Konsensreihen, sondern entspringt dem ungetrübten, dem Menschen ureigenen und ewigen Quell der Emanation, dem unverwüstlichen Atem des Lebens, welchem das gesamte Reichtum leidenschaftlicher Lebendigkeit innewohnt und welche es unbeugsam gegen die dunklen Künste des Philisters Geist entsprungener Weltnarren zu verteidigen gilt. Denn der Notio von Leben verkehrt sich in sein Gegenteil, opfert man ihn auf dem Altar neurotischer Bürokraten. Der ,,Atmende" spricht in seiner Renitenz: ,,Burschikos, pietätlos, maliziös kompromittieren meine Gebaren des Philisters Geist entsprungene Weltnarren."


In der Familie hat ,,der Atmende“ all seine Ansprüche verloren, weigerte er sich doch deren verqueres Asklepiosbild (griech. und röm. Mythologie: ,,der Gott der Heilkunst") in die eigene Religion zu übernehmen. Folglich gilt er jetzt als Schandfleck auf dem pedantisch blanken Vorbinder des Familienstolzes.


Einem atmenden Häretiker soll man auch die Verwandtschaft absprechen, denn unversöhnliche Differenzen machen nicht nur vor dem jetzt auch auseinandergehenden Blutbild halt. Das mag Schade sein, ist jedoch ein notwendiges Übel für die Solidarität mit den Glaubensgenossen und für die Bewahrung des Schutzes des Gemeinwohls, befindet der bekümmerte Hyliker, während er erhobenen Hauptes für ,,den Atmenden“ zum Abschied folgende Worte bereit hält: ,,An meinem brachialen Wesen hättest du sollen genesen, denn alles was sich verhält diametral, muss werden neu gerichtet, amorphes wird vernichtet.“











 

Der bekümmerte Hyliker laboriert an einer artigen Hörigkeit, die er lieber in der Kinderstube hätte lassen sollen. Die Schäkerei der Legislative mit den phantastischen Metaerzählungen vorgeblicher Wohlgefühl-Experten ist für ihn nicht mehr als ein herbei fantasierter Unsinn ,,des Atmenden“. Seine Kenner bewohnen eine ideologiefreie und lösungsorientierte Hochburg mit dem Emblem des Logos. Und er stellt sich in den Dienst des hyper-modern-en Hartschiers, dem ,,Faktenchecker“, welcher die Bastion gegen investigative Invasoren bis zur letzten Bigotterie verteidigt. Im Thronsaal lauschen die Kenner dem Scharmützel und akklamieren sich die Hände wund: ,,Lang lebe der dümmliche Hartschier unserer infamen Hofberichterstattung!"


Tagaus tagein befüllt der bekümmerte Hyliker seinen blässlichen Leib mit Pharmakon, welches ihm die Sinne narkotisiert und ihn in eine Eindimensionalität vermeintlicher Glückseligkeit taumeln lässt, die seine postmaterialistische Gesinnung dekuvriert. In Wirklichkeit nämlich unterscheidet er sich nicht groß von der hedonistischen Natur des unbekümmerten Hylikers. Das egoistische Streben nach möglichst viel Genuss ist ihnen gemein. Der bekümmerte Hyliker koppelt dieses jedoch an eine wesentliche Voraussetzung. Der akute Tugendpathos seiner Pseudo-Bruderschaft muss es ihm erlauben, dann gestaltet er mit dieser gemeinsam im Gleichschritt seine Exzesse nach Obrigkeitserlass. ,,Toleriere keinen Dissens, sondern stets nur beglaubigten Konsens“, wird zu seinem alles bestimmenden Handlungsimperativ.

 

Wie aber lässt sich nun die Christenpflicht, die Nächstenliebe, bei aller zwischenmenschlichen Klima-Anomalie zwischen bekümmerten Hyliker und Pneumatiker rehabilitieren? Wie wäre es mit folgenden Lösungsvorschlägen: Weniger Familienzerwürfnisse und explosive Antipathie-Gase durch regenerativen Meinungsstreit und geringere Dissens-Beklemmung. Ausreichendes Flanieren durch begrünte und atmende Gefilde. Der Schutz der Bevölkerung vor den Auswirkungen von Starkregen-Indoktrination und Heteronomie-Katastrophe.


Es könnte so einfach sein und ein jeder wäre Humanist. Das hat jedoch zur Voraussetzung, dass man weiß was der Mensch ist. Heute scheint der kulturprotestantische Begriff von Säkularisierung für viele nur noch altväterischer Parole kultureller Emanzipation zu sein. Der kultivierte und mündige Mensch nach griechisch-römischen Bildungsideal macht Platz für ein alters her bekanntes Menschenbild, dessen Grundlage die Armseligkeit, Sündhaftigkeit und Erlösungsbedürftigkeit des Menschen ist. Respekt vor der Würde des Menschen, seiner Persönlichkeit und seinem Leben, Toleranz, sowie Gewissens- und Gewaltfreiheit, all dies sind aber die Voraussetzungen für eine unbeirrbare Nächstenliebe, der Christenpflicht fernab ihrer geistlich-instrumentalisierten Fehlleitung.


Möglicherweise aber ist der bekümmerte Hyliker von einem Stockholm-Syndrom betroffen und es wird ihm dadurch unmöglich, Entscheidungen für sein Leben abseits vorgegebener Antworten seines Geiselnehmers fakultativ zu treffen. Möglicherweise sind Hyliker (der Stoffmensch) und Pneumatiker (der Atmende) zu unterschiedlich, um miteinander in Wohlgesonnenheit leben zu können. Möglicherweise haben diese nach der valentianisch-gnostischen Mythologie tatsächlich eine ungleiche anthropologische Struktur, mit je unterschiedlichen Wesensbestandteilen. Hyliker würden demnach nur ihre physische und materielle Realität kennen, ohne Sinn für das Geistige-Seelische. Sie würden außerdem den Demiurgen mit dem wahren Gott verwechseln, da ihnen das Gespür und die Vorstellung für eine spirituelle Welt jenseits ihres Daseins fehlt.


Rührt daher vielleicht ihre Thanatophobie ? Zumindest scheuen sie den dem antiken Rom entstammenden Ausdruck ,,Memento mori : Bedenke, dass du sterben musst!“ wie der Teufel das Weihwasser. ,,Der Atmende“ dichtet angesichts dieser Tragödie mit inquisitorischer Fulminanz: ,,Natur erscheint dem Don Quijote so kapriziös, so nonchalant, konterkariert seinen Ritt zum Olymp mit ingeniöser Hand. Seinen Widerstand leistet er in trauriger Gestalt der Evasion, ruft deprimiert nach der ihn erlösenden Evokation. Doch antonym zu seinem Begriff erscheint nur Hekate, die Göttin der Weggabelungen, Schwellen und Übergänge, die Wächterin der Tore zwischen den Welten, und dieser widerstreben sämtliche philiströse Einfältigkeits-Sonate. Man prozessiert sie wegen ihrer Obskurität, im Gerichtsentscheid spricht man sie schuldig für die im Kläger ausgelöste Animosität. Man wirft ihr außerdem vor ihre abstinente Kondolenz, denn ihr delinquentes Verhalten gebietet der Opulenz sich zu bescheiden und dabei versteht sie sich in unheimlicher Intransigenz."

 

Auf ,,Memento mori“ folgt das ,,Carpe diem": ,,Nutze den Tag! Genieße den Augenblick!“. Es fordert dazu auf die knappe Lebenszeit zu genießen und das nicht auf den nächsten Tag zu verschieben. Und da den bekümmerten Hyliker ja nicht ausschließlich der Tod bekümmert, sondern auch all die Postulate seiner Pseudo-Bruderschaft, die seine instabile Person zusammenhalten, lebt er sein ,,Carpe diem“ jetzt mit pikierter Mine im Maßnahmenstaat. Dort, wo er sich für die ihm manches Mal zugestandene Libertinage in einem anschließenden Lock-Down-Hausarrest revanchieren darf. Daran ist nur ,,der Atmende“ schuld, der hat ihm in seinem Ungeimpftsein nämlich mal wieder den Spaß beim Toben verdorben, motzt er, während er Däumchen dreht. Solange bis Mama und Papa ihm grünes Licht geben, damit er sich abermals mit seinen mannhaften Brüdern in den nächsten Hausarrest saufen kann.


,,Der Atmende“ schüttelt angesichts dieser Tragödie den Kopf und dichtet mit inquisitorischer Fulminanz: ,,Der Geist des Androzentrismus schleppt sich gleich einem hinkenden Zombie durch die defätistische Gasse und zieht dabei Grimasse. Statt sich zu üben in Stoizismus, schlägt er um sich mit der Keule des Dysphemismus, spürt er doch, dass seine Revolte sich gegen ihn selbst richtet, welch göttlicher Zynismus.“


Dann packt er seine Siebensachen und macht sich auf den Heimweg. Zu jenem Ort, wo man die Christenpflicht, die Nächstenliebe noch vorbehaltlos miteinander teilt, ohne ihr einen Namen geben zu müssen.

 

Schlussdichtung: ,,Für solche Synästhesie ist nur empfänglich ,,der Atmende". Er, der homerisch belacht den Clown. Er, der bleibt stoisch gleich einem Fels in der Brandung. Er, der martialisch knirscht mit den Zähnen. Er, der venerisch regiert die Primae Materia. Und sie, die Christenpflicht, die Nächstenliebe, deren Inhibition man hat vorgezogen zu Lasten ihrer Initiation. Sie, die man sich hat selbst vergessen in faulender Diskretion."

 

Epilog: Der deutsch-schweizerischer Schriftsteller, Psychologe und Psychoanalytiker, Arno Gruen, schreibt in seinem Buch ,,Der Wahnsinn der Normalität. Realismus als Krankheit: eine grundlegende Theorie zur menschlichen Destruktivität“, dass sich menschliche Destruktivität viel öfter, als uns klar ist, hinter vermeintlicher Menschenfreundlichkeit oder ,,vernünftigem“ Handeln verbirgt. Dort wo Innen- und Außenwelt auseinanderfallen, bleiben Verantwortung und Menschlichkeit aus, die Christenpflicht wird undenkbar.


Wo Religion und Religiosität zur Ideologie verkommen sind, geht es freilich nicht mehr um das echte und befreiende Lebensglück der Menschen, sondern darum, sie in Abhängigkeit zu führen, sie zu beherrschen und für eigene Strategien zu missbrauchen. Um Ursprünglichkeit und Echtheit im religiösen Vollzug zu erfahren, ist es daher immer entscheidend, ob Wegweisungen auf Befreiung, Heilung, Gelingen und Erfüllung ausgerichtet sind oder auf Angst, Zwang, Drohung, Scheitern und Unterdrückung.


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